Am 16.9.2009 fand ein Pilzfreund in seinem Garten ein paar Pilze. Sie waren unterirdisch gewachsen und von einem Marder, wie die Spuren zeigten, freigekratzt worden. Die Pilzkenntnisse des Pilzfreundes sind nicht schlecht. Sein „Taschenbuch für Pilzfreunde“ von Bruno Hennig (1968), aus dem Gustav Fischer Verlag in Jena hat er fleißig gelesen. Dort steht auf Seite 30: „Wer einige Male Trüffeln entdeckt hat, hört mit dem Suchen nicht mehr auf”. In späteren Ausgaben fehlt diese Passage. Sehr lange schon hat er sich gewünscht, Trüffeln zu finden.

Um 21:30 hat sich die Rettungsleitstelle bei mir gemeldet und mich gebeten, die Notaufnahme des Krankenhauses anzurufen. Es wird ein Patient eingeliefert, der irgendwelche „Morcheln” gegessen hat. Die Gedankenkette: Stinkmorchel, Hexenei, Grüner Knollenblätterpilz! Der Patient war noch nicht da. Man werde zurückrufen. Es rief niemand zurück. Meine Nacht verlief unruhig.
Am Vormittag hatte ich im Krankenhaus angefragt. Dem Patienten ginge es wieder gut. Aber es sei eine richtige Vergiftung gewesen, keine Angstreaktion oder Ähnliches. Es gab keinerlei Putzreste oder irgendwelche anderen Überbleibsel. Die Pilze stammten vom Wochenendgrundstück, Abfälle wurden an Ort und Stelle vernichtet (Ausdruck des Patienten).
Er hatte seine Pilze (3 Stück, gewaschen, ungeschält, in Scheiben geschnitten) 20 Minuten mit Butter gebraten, und sie mit großem Gefallen (allein) auf einer Scheibe Brot verspeist. Sie hätten auch gut ausgesehen, graublau im Inneren (!) und sie hätten gut gerochen. Zum Essen trank er ein Glas Buttermilch, keinen Alkohol. Andere Pilze hatte er nicht gegessen. Zwischen Mahlzeit und ersten Krankheitszeichen verging eine Stunde. Es war ein spätes Abendessen.

Die Bestimmung

Am 18.09. nachmittags um 16:40 war er bei mir, mit einem frisch ausgegrabenen Pilz. Es war ein Pilz aus der großen Gruppe der Gasteromyceten, mit relativ glatter, hellbraungrauer Peridie, Pseudostiel und stark entwickelten Mycelsträngen, in welche große Granitsplitter eingepackt waren. Der ganze Pilz glitzerte vom Glimmer. Beim Durchschneiden zeigte sich die weiße Gleba, in der Mitte bereits reifend, also blaugrauviolett durch die Sporen. Dies war, ob unterirdisch gewachsen oder nicht, ein Vertreter der Gattung Scleroderma. Peridie und Stielfleisch verfärbten sich nach dem Durchschneiden und bei Berührung rot. Der Geruch war in etwa so, wie ich ihn von S. citrinum kenne, aber schwächer. Der Durchmesser betrug ca. 4 cm. Der ganze Pilz war stark deformiert. Die Peridie war ziemlich dünn, nicht areoliert, die Sporen isoliert-stachelig. Schnallen waren selten.

Bestimmt habe ich mit Jülich (1984), dort ist keine Rotverfärbung der Peridie angegeben. Geholfen hat wieder einmal Michael, Hennig & Kreisel (1983–1988). Dort ist die Rotverfärbung angegeben. Es gibt wenig Literatur zu Scleroderma.
Es gibt ein hypogäisches Scleroderma, S. fuscum, dies darf keine basalen Mycelstränge haben, aber verfärbt sich beim Berühren/Verletzen rot. Die Sporen sind von hyalinen Zellen umgeben, das Ornament ist netzig. Beides trifft für unseren Pilz nicht zu, S. cepa sieht sowieso ganz anders aus und hat eine dicke Peridie.
Als deutschen Namen für Scleroderma verrucosum (Bull.) Pers. 1801 bevorzuge ich „Braunwarziger Hartbovist”. Der oft benutzte Name „Dünnschaliger Kartoffelbovist” ist nicht eindeutig und wird gern für andere gleichfalls dünnschalige Arten benutzt.

Scleroderma, sogar Scleroderma citrinum, wächst gelegentlich unterirdisch (Herr Prof. Hardtke mündlich zu Herrn Knoch, Sachsentagung vom 25.–27. September 2009). In unserem Fall lässt es sich leicht erklären. Das Substrat ist eine 50 cm dicke Aufschüttung aus einem Mineralgemenge, Hauptanteil ist Granit, mit einer 5 cm dicken Auflage aus einer Art Steinmehl, wohl so etwas, wie es in Pflasterfugen eingekehrt wird. Im Substrat steht eine von selbst gewachsene junge Eiche, Stammdicke zurzeit etwa 7 cm. Gifte und Herbizide setzt der Besitzer grundsätzlich nicht ein.

Die Symptome und die Behandlung

Es begann mit dem Ausfall des Farbsehens („Der Film im Fernsehen war auf einmal schwarz-weiß”), das nächste waren Doppelbilder, der Ausfall des Gesichtsfeldes erst auf einem Auge, dann komplett, Steigerung der Gehörempfindung, er sagte, er war drin im Film, dann Bewusstlosigkeit, wieder Auftauchen, wieder Bewusstlosigkeit, da hatte seine Frau schon die Tochter geholt, sie ist Krankenschwester. Blutdruck < 100, Puls < 40, Körpertemperatur 33° C, Reduzierung des Sauerstoffgehaltes im Blut – das wurde dann aber erst im Rettungswagen festgestellt. Die Sehfähigkeit war da größtenteils wiederhergestellt. Von einem rauschartigem Zustand war keine Rede. In einem gewissen Sinne war seine Wahrnehmungsfähigkeit sogar geschärft.

Im Krankenhaus erfolgte die symptomatische Behandlung. Der Patient hatte den Eindruck, dass außer ihm niemand an die Pilzvergiftung glaubte und dass die Behandlung nicht so richtig anschlug. Den Medizinern war die Latenzzeit zu kurz, es gab keine Verdauungsstörungen, kein Magendrücken, keine Leibschmerzen. Erbrechen durch eigene Bemühungen („Kann ich bitte einen Eimer haben?”). Danach Besserung, Frieren, schweißnass und kalt. Die Entleerung war nicht vollständig, „das Durchwandern des Giftes durch den Körper verursachte Sensationen”.

Die Recherche

Scleroderma-Vergiftungen schienen nirgendwo dokumentiert zu sein. Im Internet und der Literatur fand sich immer nur dasselbe: Gastrointestinal, im Grunde harmlos. Eine Fallbeschreibung fand sich nicht. Alles war zu hinterfragen. Nachforschungen mussten angestellt werden.
Als erstes habe ich mir bei Frau Elfriede Herschel, Pulsnitz, Rat geholt. Sie war viele Jahre die Bezirks-Pilzsachverständige für den Bereich des Bezirkshygieneinstituts Dresden, Außenstelle Bautzen, also für den Ostteil des Bezirkes Dresden. Es gab tatsächlich, wahrscheinlich in den 1970er Jahren, einmal einen Vergiftungsfall mit fünf Kindern in einem Kindergarten im Süden des Kreises Löbau. Die Kinder kamen zu früh in den Kindergarten und waren ein paar Minuten allein. Sie haben S. citrinum roh gegessen. Die Vergiftung war sehr schwer. Leben und Gesundheit der Kinder konnten gerettet werden, aber der Krankenhausaufenthalt hat mehrere Wochen gedauert. Unter anderem waren sie blind.

Die Unterlagen sind nicht mehr auffindbar. Nachfolgebehörden der Hygieneinstitute sind die Landesuntersuchungsanstalten. Dort liegen die Jahresberichte, in denen die Ausnahmevergiftungen nur als „sonstige” auftauchen. Nachfolgebehörden der Kreishygieneinspektionen sind die Gesundheitsämter der Landkreise. Seit 1990 gab es zwei Kreisreformen. Bei den Nachforschungen musste ich mich auch mit den Archivgesetzen in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigen. Kurz dargestellt: Behörden sind verpflichtet, ihre Unterlagen 30 Jahre aufzubewahren. Danach müssen sie diese einem übergeordneten Archiv anbieten, aber das ist nicht verpflichtet, etwas zu nehmen. In diesem Fall tritt der Reißwolf in Aktion. Krankenhäuser müssen Patientenakten 10 Jahre aufbewahren und Verwaltungsakten 30 Jahre. Eine Archivierungspflicht gibt es für sie nicht. Im Kreisarchiv Zittau stammt die älteste vorhandene Vergiftungsdokumentation aus dem Jahre 1982, deren 30 Jahre sind noch gar nicht um. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass eine deutsche Behörde etwas wegwirft, dass so etwas versehentlich erfolgt, ist allerdings denkbar.

Die Ergebnisse

Zum Gift der Scleroderma-Arten schreiben Michael, Hennig & Kreisel (1983–1988) unter Scleroderma citrinum:

Wert: giftig, der Genuss größerer Mengen ist gefährlich und kann Ohnmachtsanfälle, Schweißausbrüche, Übelkeit und Erbrechen auslösen.

Jahn (1949) schreibt:

Schon kleine Mengen dieses Pilzes können Schwindelgefühl, Ohnmachten oder Sehstörungen sowie Erbrechen verursachen.

Schröter (1908) – der Bezug war in einem Artikel von Falck (1911) zu finden:

Abgesehen davon, dass sein Geschmack unangenehm und durchaus nicht trüffelartig ist, muss Scleroderma vulgare wohl mit Recht als giftig betrachtet werden, da durch seinen Genuss bereits in mehreren beglaubigten Fällen unangenehme Erkrankungen hervorgerufen worden sind; sein Feilhalten ist daher in Schlesien polizeilich verboten worden.

In den USA haben Stevenson & Benjamin (1961) eine Vergiftung mit Scleroderma cepa dokumentiert. Ein junger Mann hatte ein kleines Stück davon roh gegessen unter Nichtbeachtung der Angabe „essbar, solange das Fleisch innen fest und weiß.” Nach 30 Minuten bekam er starke Magenschmerzen, bald gefolgt von Müdigkeit, Übelkeit ohne Schwindel, aber begleitet von einem Kribbeln über den ganzen Körper. Die Muskeln wurden starr. Der Starrkrampf dauerte im Krankenhaus fort, begleitet von Magenkrämpfen, starkem Schweißausbruch und deutlich blassem Gesicht. Den Magen auszupumpen, war nicht möglich. Schließlich konnte er sich so weit verständlich machen, dass man ihn auf den Bauch legte und er erbrechen konnte, worauf schnelle Besserung einsetzte. Es verlief anders als bei uns, war aber auch kein Spaß.

Bei Mieß (1971) findet sich ein Bericht über eine Vergiftung mit Scleroderma citrinum (damals noch Scleroderma vulgare), die einigermaßen zu unserem Fall passt. Das Dokument bezieht sich auf einen Erfahrungsbericht des Betroffenen in „Deutsche Blätter für Mykologie” (1944). Es handelt sich dabei um die „Österreichische Zeitschrift für Mykologie”. Von 1938 bis 1944 war sie umbenannt.
Der Tierarzt Dr. Franz Valentin mischte sich in seine Suppe (etwa ein halber Liter) etwa 2 g von getrockneten Kartoffelbovisten (≡ S. citrinum), die er selbst gesammelt und getrocknet hatte. Darunter waren auch ein paar reife Exemplare. Die ersten Vergiftungserscheinungen traten nach 50 Minuten auf. Sie begannen mit leichtem Schwindelgefühl und steigerten sich dann (Sehstörungen, Vergrößerung der Pupillen, Gesichtsblässe),

Übelkeit trat nicht ein, sondern eher das Gegenteil! Doktor Valentin verglich seinen Zustand mit einem schweren Alkoholrausch. Erbrechen und Leibschmerzen traten nicht auf. Er verfiel in einen rauschartigen Dämmerzustand”.

Der herbeigerufene Arzt verhalf ihm zur Entleerung des Magens und injizierte ein Kreislaufmittel, weil inzwischen die Körpertemperatur auf 35 Grad Celsius gesunken war. Nach Ansicht des Vergifteten gehören Kartoffelboviste zu den Pilzen mit ausgesprochen neurotroper Wirkung.

Die Autoren oben aufgezählter Artikel scheinen alle der Meinung zu sein, dass die Schwere der Vergiftung auf den Reifezustand der verzehrten Fruchtkörper zurückzuführen ist. Auch bei unserem Pilzfreund waren sie ja „innen schön graublau”.

Zwei weitere Berichte

Meine Mykologischen Mitteilungsblätter hatte ich mehrfach vergebens durchsucht. Dann war es mein Mann, der am Silvesterabend interessehalber in den Inhaltsverzeichnissen blätterte und dabei etwas fand. Saupe & Herrmann (1986) berichten über je einen Vergiftungsfall, die beide sehr leicht verliefen:

Im ersten Fall hatte im Herbst 1985 ein Dresdener Ehepaar S. citrinum gesammelt, weil nichts anderes wuchs. Man briet etwa 300 g Pilze 30 Minuten lang in Butter und aß sie redlich geteilt zum Abendessen. Danach aßen sie noch ein paar Wurstbrote, der Mann trank außerdem eine Flasche Bier dazu. 10 bis 15 Minuten nach dem Essen stellten sich bei beiden Magenschmerzen ein, sie steigerten sich in der nächsten halben Stunde. „Sie wurden aber vom Mann nur als sehr unangenehm, nicht krampfartig empfunden.” Zu dieser Zeit stellten sich bei ihm leichte Sehstörungen ein. „Obwohl er noch alles klar sehen konnte, hatte er den Eindruck, dass es um ihn herum dunkler wurde. Die Frau konnte sich an keine Sehstörungen erinnern.” Sie musste 45 Minuten nach dem Essen erbrechen und hatte Durchfall. Bei diesem Fall bleiben Fragen offen: Hat der Mann aus eigenem Antrieb von den Sehstörungen berichtet? Dann müssen sie deutlich gewesen sein. Wer stellt sich schon gern als empfindlich oder gar hysterisch dar. Oder hat der Befrager expliziert nach Sehstörungen gefragt? Dann muss das Symptom als solches bekannt gewesen sein.

Im zweiten Fall hatten ein Ehepaar aus Rostock und ihr Besuch aus Magdeburg die Pilze mit dem Riesenbovist verwechselt. Die Gastgeber hatten dem Besuch die Hauptportion überlassen und selbst ganz wenig gegessen. Sie spürten nur ein Unwohlsein, während die anderen starkes Erbrechen und Durchfall hatten.

Fragestellung

Bei all dem muss es erlaubt sein zu fragen, ob eine Scleroderma-Vergiftung zu einem der anderen Syndrome oder auch zu einem neuen Syndrom gehören könnte. Es scheint ein Giftgemisch zu wirken. Dann wären Übelkeit, Erbrechen und Durchfall geradezu ein Segen.

Danksagung

Herrn Gerhard Zschieschang, Herrnhut, sei hiermit gedankt. Er hat mir den Abschnitt im Schröter (1908) durch das Telefon vorgelesen. Michael Kallmeyer, Neukirch, hat für mich die Artikel aus dem Mykologischen Mitteilungsblatt kopiert und mir schließlich von seinen überzähligen einige der Hefte, die mir fehlten, geschenkt. Mein Dank gilt natürlich auch ihm und Frau Herschel, die mir geholfen hat. Herrn Professor Dr. med. Siegmar Berndt danke ich für die Unterstützung und die Ermutigung bei der Erstellung des Berichtes.

Literatur

Bresinsky, A. & H. Besl (1990): A colour atlas of poisonous fungi. Wolfe, London.

Falck, O. (1911): Über die mikroskopische Unterscheidung der echten Perigord-Trüffel (Tuber brumale) von den verwandten Arten und der sogenannten falschen Trüffel (Scleroderma vulgare). Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel, sowie der Gebrauchsgegenstände 21(4): 209–211. (DOI: 10.1007/BF02023677)

Flammer, R. & E. Horak (2003): Giftpilze – Pilzgifte. Schwabe, Basel.

Jahn, H. (1949): Pilze rundum. Park, Hamburg. (Online)

Jülich, W. (1984): Die Nichtblätterpilze, Gallertpilze und Bauchpilze. In: H. Gams: Kleine Kryptogamenflora Bd. IIb/1. Gustav Fischer, Jena.

Michael, E., B. Hennig & H. Kreisel (1983–1988): Handbuch für Pilzfreunde. 5. Auflage. Gustav Fischer, Jena und Stuttgart.

Mieß, F. (1971): Beschreibung einiger in der zweiten Jahreshälfte in Oberösterreich vorkommender Pilze. Apollo 24: 6–8. (Online)

Saupe, G. & M. Herrmann (1986): Vergiftungen mit dem Dickschaligen Kartoffelbovist – Scleroderma citrinum. Mykologisches Mitteilungsblatt 29(2): 49.

Schröter, J. (1908): Kryptogamen-Flora von Schlesien 3. J. U. Kern, Breslau. (Online)

Stevenson, J. A. & C. R. Benjamin (1961): Scleroderma Poisoning. Mycologia 53(4): 438–439. (Online)

Rosemarie Kießling

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