Puppenkernkeule
Cordyceps militaris (L.) Fr. 1818

Orangegelb leuchtet ein keulenförmiger Pilz im Grün der Wiese. Nur wenige Zentimeter ist er groß, fast hätten wir ihn übersehen. Ist es eine Keule der Familie Clavariaceae, also ein Ständerpilz (Basidiomycota)? Nein, das kann nicht sein, denn wir sehen die Öffnungen von dicht unter der Oberfläche liegenden Kammern (Perithecien), die angefüllt sind mit mikroskopisch kleinen Sporenschläuchen (Asci). Es handelt sich also um einen Schlauchpilz (Ascomycota). Vielleicht ist es ein Holzkeulenpilz? Holzkeulenpilze (Xylariales, Ascomycota) sind jedoch normalerweise schwarz und, wie ihr Name schon sagt, sie leben auf Holz. Vielleicht wächst unser Pilz auf im Boden vergrabenem Holz? Wir schauen nach. Mehr oder weniger gut erkennbar finden wir an der Basis des Stiels im Boden verborgen eine tote, durch Fäden des Pilzes mumifizierte Schmetterlingspuppe. Wir haben es mit einem parasitischen Pilz zu tun, der als kleine, Pilzfäden bildende Spore in lebende Insekten eindringt, die Tiere abtötet und die Kraftstoffe des Insektenkörpers für die Entwicklung keulenförmiger Fruchtkörper nutzt. Es handelt sich um die Puppenkernkeule (Cordyceps militaris).

Die Puppenkernkeule ist in der gesamten Nordhemisphäre verbreitet und auch bei uns relativ häufig zu finden, besonders im Herbst. Es ist also keine in ihrem Bestand gefährdete Art. Wie kommt dieser kleine, Tod bringende Pilz trotzdem zu der Ehre, „Pilz des Jahres“ zu werden?

Die Puppenkernkeule zeigt uns, wie wichtig gerade kleine Pilze in unseren Ökosystemen sein können. Ihre Aufgabe ist eine natürliche Regulierung der Schmetterlingspopulationen. Als Erreger einer Insektenkrankheit mit Todesfolge, der als Spore zufällig seine Opfer finden muss, entwickelt sich die Puppenkernkeule besonders zahlreich, wenn die Insektenpopulation besonders dicht ist, also gerade wenn eine Schmetterlingsplage herrscht. Durch die Pilzkrankheit wird die Anzahl der Insekten schnell reduziert, es gibt weniger Wirte für den Pilz, der Pilz wird weniger häufig und die Überlebenschancen der Insekten sind wieder günstiger. So ist für ein natürliches Gleichgewicht zwischen Insekten und Pilzen gesorgt. Auch für unsere Kulturpflanzen können wir Pilze zur Bekämpfung von Schadinsekten einsetzen, wofür wir aber nicht die Puppenkernkeule, sondern nahe verwandte Mikropilze, wie z. B. Beauveria-Arten, nutzen.

Hinweise auf medizinisch interessante Inhaltsstoffe der Cordyceps-Arten liefern uns angeblich Yaks, zottige Rinder in den Hochebenen Tibets, die zur Brunftzeit die Chinesische Kernkeule (Cordyceps sinensis) ausgraben, fressen und dadurch richtig gut in Fahrt kommen! Für den Menschen interessante Heilkräfte dieser Pilze sind in chinesischen Kräuterbüchern dokumentiert, die bis zu 2.000 Jahre alt sind. Cordyceps-Arten werden nicht nur als Aphrodisiakum empfohlen, sondern auch für die Stärkung der Lunge, Nieren und Spermienproduktion, gegen Husten, Erkältung und Blutungen. Kurz gesagt, dienen Cordyceps-Arten, allen voran C. sinensis und C. militaris, der Stärkung der Lebensenergie „Qi“. Auch Sportler nutzen sie, da sie als Doping-Mittel nicht verboten sind. Die beste Wirkung zeigen die mumifizierten Insektenlarven mit ihren keulenförmigen Fruchtkörpern als heißer wässriger Extrakt, also als Tee.

Wissenschaftler unserer Zeit haben die Inhaltsstoffe analysiert und zahlreiche Heilwirkungen bestätigt. So wirken unter anderem Polysaccharide entzündungshemmend, gegen Tumore und Metastasen, stärken das Immunsystem und helfen bei der Regulierung von Zucker- und Fettwerten des Blutes. Cordycepin, ein Desoxyadenosin, trägt bei zur Aktivität gegen Tumore und tötet Bakterien sowie Insekten.
Da die Puppenkernkeule und verwandte Arten als Medikament heiß begehrt und in der Natur nicht so häufig zu finden sind, werden Puppen der Seidenspinnerraupe (Bombyx mori) mit den Pilzen künstlich infiziert. Diese mühsame Kultivierung und die große Nachfrage aufgrund der wertvollen Eigenschaften führten dazu, dass insbesondere die Chinesische Kernkeule zu den teuersten Pilzen weltweit zählt. Seit wenigen Jahren hat man es jedoch geschafft, die Puppenkernkeule im Labor auf Nährmedium heranzuziehen, wodurch die Produktionskosten geringer werden.

Weltweit umfasst die Gattung Cordyceps ungefähr 450 Arten, darunter neben vielen Insektenparasiten auch Pilzparasiten, wie z. B. die Zungenkernkeule (Cordyceps ophioglossoides), die auf Hirschtrüffeln (Elaphomyces spp.) lebt. Zur näheren Verwandtschaft zählen zudem Pflanzenparasiten, wie der Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) und der Graskernpilz (Epichloë typhina). Aufgrund der vielfältigen Inhaltsstoffe, Substrate und Wechselwirkungen mit Pflanzen, Tieren und anderen Pilzen ist die Erforschung des Verwandtschaftskreises der Puppenkernkeule, die Clavicipitaceae in den Hypocreales, für Pilzforscher und Mediziner eine spannende Aufgabe, die noch viele wertvolle Ergebnisse erwarten lässt.

Die Puppen-Kernkeule fruktifiziert an verpuppten Insektenlarven. | Foto: Andreas Kunze

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