Aufgrund spärlicher Hinweise auf Sporen wurde bislang von einer asexuellen Fortpflanzung bei Rentierflechten ausgegangen. Demnach sollen abgelöste Flechtenteile zu größeren Exemplaren heranwachsen. Dann müsste das genetische Material gleich sein, weil sie gewissermaßen allesamt Klone darstellen würden. Forschern fiel jedoch bei ihren Untersuchungen einer Probenreihe aus Kanada eine erstaunlich hohe genetische Vielfalt auf, die nicht zur verbreiteten Annahme passt.

Viele Rentierflechten der Gattung Cladonia erinnern in ihrem Aussehen an Moos. Sie kommen auf der Nordhalbkugel vor allem in hohen Breitengraden vor, sind aber auch beispielsweise in Mitteleuropa zu finden. Bei ihnen handelt es sich um Lebensgemeinschaften aus Schlauchpilzen der Klasse Lecanoromycetes und Algen.
 

Flechten-Techtelmechtel

Die Experten um Marta Alonso-García von der Laval-Universität in Quebec entnahmen 122 Exemplare der Alpen-Rentierflechte oder Weißen Büschelstrauchflechte (Cladonia stellaris) aus der Natur und untersuchten sie molekulargenetisch untersucht. Dabei zeigte sich in einigen Fällen eine unerwartet hohe Diversität im genetischen Material. Dies ist nur durch die sexuelle Fortpflanzung zweier Individuen zu erklären.

Bei den Rentierflechten läuft das vermutlich so ab: Zwei benachbarte Flechten senden Wurzeltriebe aus, die einander berühren. Über diese Triebe tauschen die beiden Flechtenindividuen genetische Informationen aus. Jede für sich kann so ihre genetische Vielfalt vergrößern. Nach diesem „Techtelmechtel“ bilden die Flechten Apothecien (offene, schüssel-, scheiben- oder becherförmige Fruchtkörper) und senden mittels dieser Sporen aus. Wo diese landen, entwickeln sich neue Triebe und somit neue Exemplare der Rentierflechte.

Weil im Rahmen der Untersuchungen etliche dieser Apothecien gefunden wurden, ist die sexuelle Fortpflanzung eine wahrscheinliche Erklärung für die in denselben Gebieten nachgewiesene genetische Diversität. Demzufolge scheint diese Reproduktionsmethode bei Rentierflechten weitaus verbreiteter zu sein als bislang angenommen.
 

Rentiernahrung unter Klimadruck

Rentiere, die in Nordamerika Karibus genannt werden, nutzen Rentierflechten im Winter als wichtige Nahrungsquelle. Weil die Rentierflechten der Gattung Cladonia unter der Erderwärmung leiden und der für sie dauerhaft bewohnbare Lebensraum schrumpft, könnte sich dies langfristig negativ auf die Rentiere auswirken.

 

Literatur

Bilder

Alpen-Rentierflechte (Cladonia stellaris)

Alpen-Rentierflechte (Cladonia stellaris) | Bild: Dr. Rita Lüder

Flechtenlandschaft in Norwegen

Flechtenlandschaft in Norwegen | Bild: Dr. Rita Lüder

Alpen-Rentierflechte (Cladonia stellaris)

Alpen-Rentierflechte (Cladonia stellaris) | Bild: Dr. Rita Lüder

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