Leider sind Waldpilze auch ein Vierteljahrhundert nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl in einigen Regionen Deutschlands immer noch erheblich radioaktiv belastet. Das betrifft insbesondere den Süden Bayerns, der 1986 vom Fallout besonders schwer betroffen war. Messungen der Radioaktivität von Pilzen werden in Bayern vom unabhängigen Umweltinstitut München e.V. und vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) in Augsburg vorgenommen, deren Messergebnisse im Internet abrufbar sind.


Messergebnisse aus Bayern

Nach der „Waldproduktliste 2009“ des Umweltinstitutes (online) wurden in Maronenröhrlingen aus Dietramszell 1.308, in getrockneten Maronenröhrlingen aus dem Forstenrieder Park 2.729, in Kuhröhrlingen vom Starnberger See 3.505, in getrockneten Semmelstoppelpilzen aus Ammerland 6.418 und in Schweinsohren aus Reit im Winkel 1.442 Bq/kg Cäsium-137 (137Cs) gemessen, um nur einige Ergebnisse zu nennen. Weiteren Quellen ist zu entnehmen, dass auch Reifpilze, Trompetenpfifferlinge und Lacktrichterlinge noch erheblich belastet sein können. Deutlich geringer betroffen sind Pfifferlinge mit 137Cs-Werten zwischen 1,0 und 239 sowie Steinpilze zwischen 7,2 und 246 Bq/Kg.

Den Listen des LfU Bayern (online) können für 2009 und 2010 beispielhaft folgende Werte entnommen werden: Maronenpilze aus Erding 1.380, Birkenpilze aus Garmisch-Partenkirchen 4.520 und Weiße Raslinge 8.470 Bq/kg 137Cs. Von 25 Maronenpilzkollektionen, die zwischen September 2009 und Oktober 2010 gesammelt wurden, lagen die Messdaten von 14 Aufsammlungen unterhalb des Grenzwertes von 600 Bq/kg 137Cs, die übrigen 11 Kollektionen wiesen überwiegend Werte von über 1.000 Bq/kg auf.

Die Behauptung ministerieller Stellen, dass Maronenpilze „Cäsium-Werte in der Nähe des EU-Einfuhrgrenzwertes“ hätten, ist anhand der vorliegenden amtlichen Daten nicht nachvollziehbar, passt aber zu der Fehl-, Desinformations- und Beschwichtigungspolitik seit Tschernobyl.

Kontroverse Grenzwerte

Der Grenzwert von 600 Bq/kg für das natürlich nicht vorkommende Leitnukleotid 137Cs für Nahrungsmittel und 370 Bq/kg für Säuglingsnahrung und Milch wurde nach der Tschernobyl-Katastrophe von der EU festgelegt, um die Einfuhr hoch radioaktiv belasteter Nahrungsmittel aus Osteuropa zu verhindern. Erst seit 2003 werden diese Grenzwerte auch für heimische Produkte gefordert und wurden Ende März 2010 für weitere 10 Jahre festgeschrieben.

Diese Grenzwerte sind willkürlich festgelegt, da es für Radioaktivität keine Grenze gibt, unterhalb der sie keine physikalischen, chemischen und biologischen Effekte bewirkt. 137Cs und Strontium-90 (90Sr) haben eine physikalische Halbwertzeit von ca. 30 Jahren, der 90Sr-Anteil kann mit 1 % in Bezug auf 137Cs geschätzt werden. 137Cs bleibt bis zu 200 Tagen im menschlichen Körper, 90Sr erheblich länger (biologische Halbwertzeit). Cäsium reichert sich in allen Organen, Strontium in den Knochen an, wo es das Knochenmark belastet.

Unabhängige Wissenschaftler, Strahlenbiologen und Ärzte fordern daher deutlich niedrigere Grenzwerte für Nahrungsmittel:

  • 30–50 Bq/kg 137Cs für gesunde Erwachsene,
  • 10–20 Bq/kg 137Cs für schwangere Frauen, stillende Mütter und Kinder,
  • 5 Bq/kg 137Cs für Säuglinge.

Messungen von eigenen Funden

Pilzsammler haben die Möglichkeit von August bis Oktober ihre Pilze beim

Umweltinstitut München e.V.
Landwehrstr. 64 a
80336 München

Tel.: 089 - 30 77 49 - 0
Fax: 089 - 30 77 49 - 20
E-Mail: info [AT] umweltinstitut [PUNKT] org

auf den Radioaktivitätsgehalt messen zu lassen. Das Institut benötigt hierfür 250 g feuchtigkeitsdicht verpackte Frischpilze und die Angabe der Art, Datum und Fundort. Das Probenblatt kann auf der Website des Instituts als PDF-Dokument heruntergeladen werden.

Im begrenzten Maße können auch in Westfalen Aktivitätsmessungen vorgenommen werden. So haben wir 2010 mit einem Gammaspektrometer des Paderborner Umweltschutzvereins „pro grün“ (Rainer Glaschick) Wildpilze aus den Wäldern um Paderborn und vom Wochenmarkt auf ihre Radioaktivität untersucht.

Erfreulicherweise sind die 137Cs Werte hier deutlich niedriger, da NRW im Gegensatz zu Bayern, Sachsen-Anhalt, Teilen von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg vom Fallout nur wenig betroffen war. So fanden wir in Lärchenröhrlingen 38, in Perlpilzen 8 und in Maronenröhrlingen 71 Bq/kg Frischgewicht. Die Werte in Maipilzen, Anischampignons, Netzstieligen Hexenröhrlingen und getrockneten Pfifferlingen lagen unterhalb der Nachweisgrenze. In auf dem Paderborner Wochenmarkt gekauften Pfifferlingen aus Polen und Ostpreußen maßen wir 23 und aus einem Bio-Laden bezogenen Pfifferlingen 45 Bq/kg.

Maronenröhrlinge vom gleichen Fundort habe ich zur Vergleichsmessung dem Chemischen und Veterinärärztlichen Untersuchungsamt für Ostwestfalen-Lippe (CVUA-OWL) in Detmold zugeleitet, das mir mitteilte, „dass die Probe…nicht zu beanstanden war“. Erst auf Nachfrage erfuhr ich den mit unserer Untersuchung übereinstimmenden Messwert von 71 Bq/kg – beschämt sei, wer schlecht darüber denkt!

Prof. Dr. Siegmar Berndt, DGfM-Toxikologe

Bilder

Symbolgrafik: Radioaktive Kontamination von Speisepilzen

Symbolgrafik: Radioaktive Kontamination von Speisepilzen | Bild: Andreas Kunze

Bodenkontamination mit Cäsium-137 in Deutschland (1986)

Bodenkontamination mit Cäsium-137 in Deutschland (1986) | Bild: Bundesamt für Strahlenschutz

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