Judasohr, Holunderpilz
Auricularia auricula-judae (Bull.) Wettst. 1886

Die Deutsche Gesellschaft für Mykologie hat das Judasohr zum „Pilz des Jahres 2017“ gewählt. Der Speisepilz hat die Form einer Ohrmuschel und ist auch für unerfahrene Pilzsammler leicht zu bestimmen. Da der Fruchtkörper mehrfach komplett austrocknen und wieder aufquellen kann, regt das Judasohr dazu an, sich mit der Ökologie der Pilze zu beschäftigen.

Der deutsche Volksname Judasohr beruht auf einer Sage. Demnach soll sich Judas Iskariot, der Jünger, der Jesus mit einem Kuss verriet, aus Gram an einem Holunderbaum erhängt haben. Tatsächlich erscheint das Judasohr häufig an älteren und geschwächten Stämmen und Ästen des Schwarzen Holunders (Sambucus nigra L.). Als Saprobiont ernährt er sich vom Holz, das er allmählich abbaut. Der Pilz wächst auch auf vielen anderen Laubhölzern wie z. B. Ahorn und Buche. Auf die Frage, warum das Judasohr aber den Holunder bevorzugt, hat die Wissenschaft noch keine Antwort gefunden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Pilzfruchtkörpern ist das Judasohr das ganze Jahr hindurch zu sehen. Besonders in frostfreien, feuchten Wintermonaten fällt es ins Auge. Die Außenseite des gallertartigen und knorpeligen Pilzes ist rötlichbraun, violettgrau bis olivbraun. Sie fühlt sich samtig und etwas filzig an.

Die glatte, glänzende, oft von erhabenen Leisten durchzogene Innenseite trägt die Fruchtschicht, das Hymenium. Hier entstehen die Sporen. Da der Pilz an den Stämmen und Ästen der Laubbäume nur unregelmäßig Wasser bekommt, hat er eine ungewöhnliche Strategie entwickelt: Bei Trockenheit schrumpft der Pilz zusammen. Wenn es regnet, quillt er wieder vollständig auf.

Viele Menschen kennen einen nahen Verwandten des Judasohr aus dem China-Restaurant. Der Pilz mit dem Namen Auricularia polytricha (Mont.) Sacc. 1885 wird als Mu-Err oder irreführend als „Chinesische Morchel“ serviert. Mit den echten Morcheln hat der Pilz allerdings verwandtschaftlich nichts zu tun. In Ostasien wird Auricularia polytricha nicht nur für die Küche gezüchtet. Auch in der chinesischen Medizin und in der Naturheilkunde spielt er eine wichtige Rolle. Er soll zum Beispiel das Immunsystem stimulieren und Blutungen stillen.

Das in Deutschland heimische und weit verbreitete Judasohr gehört zur Ordnung Auriculariales. Ein Blick durch das Mikroskop zeigt, dass die Sporenständer des Pilzes, die Basidien, quer geteilt sind. Sie haben die Form eines Zylinders und bestehen aus vier übereinander stehenden Zellen. Durch die querseptierten Basidien unterscheidet sich das Judasohr z. B. vom Zitterzahn (Pseudohydnum gelatinosum) und vom Roten Gallerttrichterling (Tremiscus helvelloides) aus der gleichen Ordnung. Beide Pilze haben längsseptierte Basidien.

Für Mykologen ist das Judasohr ein beliebtes Studienobjekt: Die Fruchtkörper sind nicht nur ein Substrat des imperfekten Basidiomyceten Itersonilia perplexans, sondern auch Lebensraum für Pilzparasiten aus der Gattung Cladobotryum, Fruchtfliegen und Fadenwürmer. Eine Gallmückenart (Camptodiplosis auriculariae) hat sich sogar auf die Fruchtkörper spezialisiert. Weder die Parasiten noch die Nematoden beeinträchtigen den Speisewert des Pilzes. Obgleich der Geschmack nicht sehr intensiv ist, passt das Judasohr zu Pilzmischgerichten und lässt sich hervorragend trocknen. Seine ungewöhnliche Form macht das Judasohr unverwechselbar. Giftige Doppelgänger sind nicht bekannt – also ein idealer Einsteigerpilz.

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Das Judasohr besiedelt vor allem Schwarzen Holunder. Die elastischen Fruchtkörper erinnern an Ohrmuscheln.

Das Judasohr besiedelt vor allem Schwarzen Holunder. Die elastischen Fruchtkörper erinnern an Ohrmuscheln. | Bild: Wolfgang Prüfert

Ein Blick auf die Unterseite

Ein Blick auf die Unterseite | Bild: Peter Karasch

Die seltene weiße Varietät des Judasohrs

Die seltene weiße Varietät des Judasohrs | Bild: Peter Karasch

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